60 Jahre Tierarztpraxis Angermann
Medizin hat Ulrich Angermann ab 1964 als Staatsveterinär in Prieschka praktiziert. Nach 1989 folgten Selbstständigkeit und der Aufbau einer Praxisgemeinschaft mit dem Sohn. Sie versorgen nicht nur Vierbeiner, sie trösten auch deren Halter. Die Amtliche Bekanntmachung hat er sich gut aufgehoben. „Ab 1. März 1964 wird in Prieschka, Kreis Bad Liebenwerda, eine Staatliche Tierarztpraxis unter der Leitung von Herrn Staatstierarzt Angermann eröffnet“, heißt es darin. Als sein Zuständigkeitsbereich wurden die Gemeinden Haida, Kosilenzien, Kröbeln, Prieschka, Reichenhain und Würdenhain festgelegt.
Die Praxis befand sich in einem Raum direkt neben der inzwischen abgerissenen Gaststätte „Zum Elstergrund“ in Prieschka. „Ich bin immer gut mit Mittagessen versorgt worden“, sagt Dr. Ulrich Angermann und lächelt verschmitzt. Auch daran erinnert er sich noch: Weil der Tierarzt keine Sprechstundenhilfe hatte und das Telefon nicht dauerhaft besetzt werden konnte, „werden Anrufe von der Konsum-Gaststätte Prieschka“ entgegengenommen. So steht es auch in der Bekanntmachung von damals. Wenn Dr. Ulrich Angermann heute, 60 Jahre später, daran denkt, muss er schmunzeln. Im Kreis Meißen aufgewachsen, lenkte ihn sein Vater, der Schäfermeister war, frühzeitig in die künftige Berufsrichtung. Nach dem Abitur folgten das Studium der Veterinärmedizin in Leipzig, die Pflichtassistenz im Spreewald und schließlich die Zulassung für die Staatliche Praxis in Prieschka.
Waren es damals vor allem Rinder, Schweine, Pferde und Schafe – auf Letztere hat er sich später noch umfangreicher spezialisiert – die betreut wurden, wandelte sich nach dem politischen Umbruch das Berufsbild. „Wir wurden von der Großtierpraxis zur überwiegenden Kleintierpraxis“, berichtet Sohn Matthias (55), der seinem Vater in dessen Fußstapfen folgte: 1990 Studium, 1996 Staatsexamen, 1998 Doktorandenstudium an der Uni-Kleintierklinik Leipzig und noch im gleichen Jahr Einstieg in die heimische Praxis. Seit 2000 führen die beiden Tierärzte eine Praxisgemeinschaft. Der politische Umbruch änderte vieles. Aus der Staatlichen Tierarztpraxis wurde eine eigene Niederlassung, in der wirtschaftlich selbstständig gehandelt werden durfte und musste. Aus dem einstigen Gehaltsempfänger Dr. Angermann wurde der selbstständige „Unternehmer“. Ulrich Angermann hat die Chancen beim Schopf gepackt. Auf den Wandel in der Tierhaltung war er vorbereitet. „Ich habe schon zu DDR-Zeiten, damals noch als Hobby, auch Kleintiere versorgt.“ Tierarzt auf dem Lande. Da kannst Du was erleben. Tieren vorsorglich und in Krankheits- oder Notsituationen helfen zu wollen, das ist in der Großstadt nicht anders als hier.
Nur, dass Ulrich Angermann, inzwischen 84 Jahre alt, mit der Groß- und Kleintierbetreuung mehrere Berufsinhalte kennengelernt hat. Neben dem normalen Tagesgeschäft sind es die besonderen Behandlungen, die hängengeblieben sind. Da war der Katzenhasser aus Plessa, der die Vierbeiner immer wieder schwer mit Pfeilen verletzte. Oder die Kuh in Hohenleipisch, die eine Rouladennadel und Nägel im Magen hatte. Das passiert, wenn Speisereste ins Futter gelangen oder auf Weideflächen und an Futterstellen Unordnung herrscht. Einer Kuh konnte eine Fahrradspeiche aus dem Magen entfernt worden. Ein ins Maisfeld geworfenes Fahrrad, das in den Häcksler kam, war ursächlich. Auch über auf Grundstücken frei laufende Hunde könnten Angermanns einiges erzählen. Auf Splitt ausgekipptes Frittierfett wurde einem zum Verhängnis. Der hatte dieses Gemisch später im Magen.
Ein Hund hatte Tampons gefressen und davon einen Darmverschluss bekommen. Schon kurios, wenn nicht so traurig, der Vorfall mit der Katze, aus deren Maul und After Teile des Magnetbandstreifens einer Musikkassette hingen. Sie hat nicht überlebt. Die scharfen Kanten des Bandes wirkten wie ein Messer. Zu den nicht alltäglichen Einsätzen gehören die mit exotischen Tieren. Da ist der vereiterte Stoßzahn eines Elefanten, die Kastration von Kamelhengsten, der Tumor eines Wellensittichs und die nur 3,5 Gramm schwere Bartagame, die behandelt wurde.Immer wieder waren es jedoch die schönen Momente, wenn Tierbesitzer nach erfolgten Behandlungen herzlich Danke sagten. „Viele Tiere sind Familienmitglieder.
Die Beziehungen sind oft sehr, sehr eng“, weiß Dr. Matthias Angermann, der auf die Frage, wie sorgsam denn mit Tieren umgegangen wird, nur spekulieren kann. „Die Tierbesitzer, die zu uns kommen, sind zum allergrößten Teil sehr pflichtbewusst. Sonst würden sie ja nicht kommen. Doch wie groß die Dunkelziffer der anderen draußen ist, ich weiß es nicht.“ Ulrich Angermann spricht von einer dieser besonderen Behandlungen. Demnach hatte ein Halter seinen Hund schon aufgegeben, konnte ihn nicht leiden sehen und bat, ihn einzuschläfern. Nach der Konsultation wurde entschieden, ihn stationär aufzunehmen.
„Als wir das Tier dem Besitzer wieder übergeben konnten und der freudig mit dem Schwanz wedelte, als er Herrchen sah, kamen auch ihm die Tränen.“ 60 Jahre gibt es die Tierarztpraxis Angermann nun. Beide Veterinäre möchten den vielen Partnern, Helfern in der Praxis und Tierhaltern Danke sagen und zwei besonders erwähnen: Heidrun Purath, seit 24 Jahren treue Praxishelferin sowie Ehefrau und Mutter Inge, die von Anfang an in der Praxis mitarbeitet.
Text: Lausitzer Rundschau vom 1.3.2024